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Julia Schellmann

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Huancarani, 09. Januar - 24. Februar 2023
Nach meinem Abitur hatte ich die Möglichkeit, ein Krankenhauspraktikum für acht Monate in Argentinien zu machen und Sprache, Land und Leute kennenzulernen. Nach dieser Zeit stand bereits für mich fest, dass ich auf jeden Fall wieder nach Südamerika zurückkehren wollte. Es sollten jedoch noch mehr als zehn Jahre verstreichen, bis sich die Möglichkeit bot, wieder den Kontinent besuchen zu dürfen. Als ich das erste Mal von FCSM während meines Zahnmedizinstudiums hörte, weckte dies mein Interesse. Da ich nicht nur für ein paar Wochen, sondern für mehrere Monate Südamerika bereisen wollte, beschloss ich mich direkt nach dem Studium für ein Volontariat in Huancarani zu bewerben. So trat ich im Januar 2023 einen Monat nach meinem Staatsexamen die Reise nach Bolivien an, um sieben Wochen das Consultorio in Huancarani zu unterstützen.
Da zuvor die Kontaktdaten aller Freiwilligen bekannt gegeben wurden, wusste ich, dass Svenja und Michael am gleichen Tag anreisen würden. Svenja und ich reisten sogar mit den gleichen Flügen von Frankfurt bis Santa Cruz. In Cochabamba angekommen, wurden wir direkt von Wilfredo in Empfang genommen, der uns half, vor Ort Geld zu wechseln und eine SIM-Karte zu kaufen. Er spricht gut Englisch, steht bei Fragen beiseite und gibt praktische Tipps, auf was zu achten ist. Zu dritt warteten wir am Flughafen noch auf Michael, unseren Zahntechnikermeister, welcher am selbigen Tag anreiste. Am Sonntag kam noch Ralf, unser erfahrener Zahnarzt und somit Hauptveranwortlicher an; damit war das Team für den ersten Monat komplett.
Das Apartment, welches wir für die nächsten Wochen bezogen, ist wirklich gut ausgestattet, sodass man sich sehr schnell einleben kann. Schon am Sonntag besuchten wir gemeinsam den nahegelegenen Markt in Sipe Sipe, um Obst und Gemüse zu kaufen. Dort konnten wir das rege Treiben auf dem Markt bestaunen. Wer Hunger hat, sollte hier auf jeden Fall eine mit Käse gefüllte Empanada, welche frisch frittiert wird, und ein landestypisches süßliches Maisgetränk, einen Api, probieren.
Da das Consultorio aufgrund der Weihnachtsfeiertage für drei Wochen geschlossen war, gab es nicht die Möglichkeit, von einem bereits bestehenden Team eingearbeitet zu werden. Daher schauen wir uns am Montagvormittag erst einmal alle Materialien und Gerätschaften an, um festzustellen, welche Behandlungen möglich waren. Selbstverständlich halfen die Einführungsvideos des FCSM ungemein. Durch die gute Ausstattung des Consultorios kann eine gute Behandlung gewährleistet werden. Nicht nur Extraktionen, sondern auch Wurzelkanalbehandlungen mit den ENDO-Motor, sowie Füllungstherapie und Zahnreinigungen sind möglich.
Am Montag erwarteten wir gespannt die Patienten. Da es für Svenja und mich das erste Mal war, außerhalb der Uniklinik zu arbeiten, war es um so aufregender. Weil es keine Terminvergaben für die Patienten gibt, warteten bereits am Vormittag die Patienten geduldig vor den Toren des Consultorios. Aufgrund der  fehlenden Einarbeitung von einem bereits bestehenden Zahnärzteteam, muss man sagen, dass der erste Tag etwas holpriger verlief, bis die gut laufenden Winkelstücke und benötigten Materialien gefunden waren. Henry, unsere tüchtige Assistenz, versuchte uns, so gut wie möglich zu unterstützen.
Er ist Bolivianer und für die Sterilisation der Instrumente und Koordination der Patienten zuständig. Des Weiteren kennt er sich sehr gut mit den Behandlungsabläufen aus, sodass er bei Bedarf assistieren kann. Da er Englisch versteht, unterstützt er uns bei der Patientenkommunikation im Spanischen und Quechua. Zu sagen ist aber, dass Grundlagen im Spanischen einem den Einstieg in den Behandlungsalltag vereinfachen.
Innerhalb der ersten Tage arbeiteten wir uns schnell als Behandlungsteam ein. So ergab es sich, dass wir Frischapprobierten hauptsächlich an zwei Einheiten behandelten und Ralf uns helfend beiseite stand. Vor allem bei Extraktionen war dies sehr hilfreich, da unser Erfahrungshorizont doch sehr begrenzt war. So konnten sich schnell gewisse Behandlungsroutinen aufbauen, sodass wir eine hohe Anzahl von Patienten behandeln konnten. Vor allem im Januar und Anfang Februar war der Patientenansturm enorm, was doch immer sehr erstaunlich war, da die Wiedereröffnung des Consultorios nach den Feiertagen nur über Mundpropaganda weitergegeben wurde. Anders als erwartet und wie zum Teil in den früheren Erfahrungsberichten zu lesen ist, kam der größte Teil der Patienten sehr regelmäßig, was uns die Möglichkeit gab, Patienten komplett fertig zu behandeln.
Die Zahngesundheit in Bolivien ist zum Teil desaströs. Stark zerstörte Milchzahngebisse sind leider keine Seltenheit und manchmal lassen sich Extraktionen von bleibenden Molaren nicht verhindern. Auch bei Erwachsenen erblickte man oft zerstörte Restzahngebisse. Zurückzuführen ist es wohl auf die Ernährung, vor allem den Konsum von Softdrinks, und der mangelnden Mundhygiene. Zahnverluste werden im Consultorio mit herausnehmbaren Zahnersatz, sogenannten Placas, behandelt.
Im Februar erhielt ZTM Michael Unterstützung von Werner, einem weiteren ZTM, sodass die Mengen an herzustellenden Prothesen zu bewerkstelligen war. Nicht nur bei der Arbeit, sondern auch im Alltag entstanden gewisse Routinen. Da Michael immer sehr früh auf den Beinen war, kümmerte er sich morgens um das Frühstück. Der Abwasch wurde immer abwechselnd von uns allen erledigt. So entstand sehr schnell ein gutes Miteinander. Abends saßen wir oft noch draußen bei einem Wein, Feierabendbier oder Chicha.
Die Zeit verging besonders unter der Woche wie im Fluge und Anfang Februar verließen uns unser ZA Ralf und ZTM Michael. Als zahnärztliche Unterstützung kamen ZÄ Marlene und ZÄ Kathleen ins Team, wodurch wir nun durchgehend in Zweierteams behandeln konnten. Es war interessant zu sehen, wie unterschiedlich jeder an manche Behandlungen herangeht und es bot sich die Möglichkeit, weitere Tipps zu bekommen und Behandlungsweisen kennenzulernen. Die Abende wurden dann oft zum Kartenspielen genutzt. Nicht zu vergessen, ist die gute Seele und Hausherrin des Projektes, Doña Adela. Sie sorgte nicht nur für Ordnung, sondern auch unter der Woche für das leibliche Wohl am Mittag und Abend, sodass man sich voll auf die Arbeit konzentrieren konnte.
Da wir am Wochenende frei hatten, nutzten wir die Zeit, um Ausflüge zu machen. Lange wird uns die dreitägige Tour mit dem ganzes Team in die Salar de Uyuni mit ihren unbeschreiblichen Landschaften in Erinnerung bleiben. Aber auch Sucre, die weiße, ehemalige Kolonialstadt ist eine der schönsten Städte Boliviens. Ebenso der Torotoro Nationalpark ist ein Wochenendausflug wert. Hier können versteinerte Dinosaurierspuren, Wasserfälle und Aras bestaunt werden. Besonders abenteuerlich war die Kletterei durch einen Teil der größten Höhle Boliviens. Wer sich für Permakulturen beziehungsweise für Agroforest-Projekte interessiert, sollte sich bei Noemi Stadler melden, die gerne Einsicht in ihr Projekt oberhalb Vintos gewährt. Auch Cochabamba und Quillacollo, die beiden nahe gelegen Städte, sollte man einmal sich angeschaut haben. Vor allem der riesige Markt in Cochabamba, la Cancha, ist ein Besuch wert. Die dortige Christus- Statue bietet einen guten Ausblick auf die Stadt. Wer gerne spazieren beziehungsweise wandern geht, kann direkt innerhalb und um Huancarani seine Runden Richtung Fluss und Bahnstrecke drehen. Einen weitere Ausflugsmöglichkeit bieten die Inkaruinen, Inkarakay, oberhalb Sipe Sipes. Von dort aus hat man auch einen wunderbaren Blick über das ganze Tal. Allgemein ist zu empfehlen, wer die Möglichkeit dazu hat, nach der Projektzeit noch mindestens zwei Wochen Bolivien zu bereisen, da es ein unheimlich vielseitiges Land ist. Ich selbst habe nach meiner Zeit im Projekt noch vier Wochen in Bolivien verbracht, um die Vielfalt des Landes besser kennenzulernen.
Rückblickend lässt sich sagen, dass meine Zeit in Bolivien manchmal anstrengend, aber vor allem bereichernd war und ich hoffe, dass ich im kommenden beruflichen Alltag von den gemachten Erfahrungen zehren und in naher Zukunft das Projekt wieder unterstützen kann.
Julia Schellmann
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