Wanjura, Frank - FCSM-WEB-Seite

Direkt zum Seiteninhalt

Wanjura, Frank

Erfahrungsberichte > Archiv
Huancarani, März/April 2014
Das Fazit zuerst: 
Wer gerne fremde Länder, andere Kulturen und Menschen kennenlernen möchte und das Ganze sogar mit der Hilfe für arme Menschen verbinden möchte, wer Spaß am Improvisieren und Lust am Abenteuer hat,  für den ist ein Kurzeinsatz (oder auch länger) in einem der Projekte des FCSM auf jeden Fall zu empfehlen. Uns beiden hat dieser Blick über den Tellerrand des gewohnten Umfeldes ein paar tolle, bleibende Eindrücke vermittelt und  wahnsinnig viel Spaß gemacht. 
Die Zeit in Huancarani und  die Menschen, mit denen wir zu tun hatten, werden wir  in bester Erinnerung behalten. Wir wünschen dem FCSM  für seine zukünftige Arbeit in seinen Südamerikanischen Projekten viel Glück und Kraft.
...und hier der ganze Bericht:
Mitte des Jahres 2013 begannen die Planungen für die Teilnahme an einem zahnmedizinischen Hilfsprojekt in Bolivien. Zu Anfang sah die Planung ausschließlich den Einsatz von Zahnärzten im bolivianischen Hochland vor. Nach intensiven Gesprächen zwischen Dr. Ekkehard Schlichtenhorst (dem Leiter der bolivianischen Hilfsprojekte des FCSM) und Dr. Tobias Bensel kam man auf die Idee,  dass für eine komplette Versorgung der bolivianischen Patienten die Einrichtung eines zahntechnischen Labors und der Einsatz eines Zahntechnikers sinnvoll sein könnte. 
Da wir als Einsatzteam Zahnarzt & Zahntechniker  im Sommer 2012 bei einem ersten gemeinsamen Entwicklungshilfeprojekt in Tansania bereits Erfahrungen auf diesem Gebiet sammeln konnten, trat Tobias an mich heran. Meine Freude war groß und ich sagte spontan zu.
Ab diesem Zeitpunkt begannen die konkreten Reisevorbereitungen. Es wurden, in Zusammenarbeit mit Ekkehard, die notwendigen zahnärztlichen und zahntechnischen Materialien zusammengestellt, die mit auf die Reise gehen sollten. Parallel dazu wurde die Flugroute ausgewählt, die Flüge gebucht und die persönliche Ausrüstung vervollständigt. Sehr wichtig ist bei solch einem Auslandseinsatz immer der persönliche Schutz und die prophylaktische Krankheitsvermeidung mit den notwendigen Impfungen.
Angespannt und voller Vorfreude ging es am 21.03.2014  für Tobias und mich für 3 Wochen nach Bolivien. Über Madrid reisten wir mit einem Zusatzgepäck von 60 kg an dentalem Material nach Santa Cruz und von dort aus nach Cochabamba.
Die Flüge sowie der Transport unseres Gepäcks verliefen vollkommen reibungslos. Am Flughafen in Cochabamba trafen wir pünktlich ein und auch das  Gepäck war zu unserer großen Freude vollständig und unbeschädigt angekommen. Wir schnappten unsere Koffer, passierten die Zollkontrolle und machten uns auf den Weg zum Flughafenterminal.
Nach der Zollkontrolle  wurden wir bereits von Ronald, einem Mitarbeiter des FCSM, erwartet und zu einem stärkenden Frühstück eingeladen. Anschließend ging es mit dem Auto weiter in Richtung Huancarani, dem Einsatzort. Auf der Fahrt sammelten wir schon die  ersten Eindrücke von Land und Leuten, bevor wir schließlich nach einer Stunde Fahrt die kleine Ortschaft mit ca. 1200 Einwohnern erreichten.
Bei der Ankunft an unserem Einsatzort, dem Consultorio, wurden wir von unseren Vorgängern Siegbert und Jörn, einem Team aus Zahnarzt und Zahnmedizinstudent, erwartet. Auch Ekkehard, der uns bisher ausschließlich durch Mail-Kontakt und Telefonate bekannt war, konnten wir jetzt das erste Mal persönlich begrüßen. Siegbert und Jörn übergaben uns den Behandlungsraum zusammen mit ein paar nützlichen Tipps für den Behandlungsalltag und die Freizeitgestaltung.
Die Dentaleinheit war in einem gepflegten Zustand und auch die Materialien waren in ausreichender Menge und guter Qualität vor Ort vorhanden. Siegbert und Jörn traten jetzt die Rückreise nach Deutschland an. 
Nun war ich gespannt, wo ich die kommenden Wochen tätig sein würde. Ich suchte die Räumlichkeiten für das geplante zahntechnische Labor  auf, von denen ich positiv überrascht war. 
Es war ein sehr schön hergerichteter Raum mit Fenster, ordentlich gefliest, aber komplett leer. Sehr schwierig, sich vorzustellen, dass hier bereits in zwei Tagen zahntechnische Arbeiten hergestellt werden sollten. Da kam wohl noch einiges an Arbeit auf uns zu…
Beim Auspacken und Begutachten der mitgebrachten Arbeitsmaterialien zeigten sich keine Schäden. Bis auf eine Dose Bimsstein, die geplatzt war und sich über dem restlichen Material verteilte,  hatten die Dentalmaterialien die Reise erstaunlich gut überstanden.
Es war nun schon Nachmittag und uns beiden knurrte ziemlich der Magen. Versorgt wurden wir beim Mittag- und Abendessen von Doña Adela, die mit Ihrer Familie auf dem Gelände lebte. Sie kümmerte sich um die Gäste und die Sauberkeit in der Anlage. Immer ein Lächeln auf den Lippen war sie nie um einen kleinen Spaß verlegen. Für das Frühstück war  Selbstversorgung vorgesehen.
Nach dieser ersten Stärkung im Consultorio richteten wir uns in unserer Unterkunft ein. Die Räumlichkeiten bestanden aus einem Schlafzimmer, einem Wohnzimmer, einem kleinen Bad mit Dusche und einer offenen Küche mit kleiner Kochzeile. Geräumig, sauber und ansprechend. Der erste Tag endete trotz unserer körperlichen Erschöpfung durch das Klima, die Höhenluft und die Reisestrapazen zu unserer Zufriedenheit. 
Trotz dieser anstrengenden Stunden konnten wir nur sehr schwer in den Schlaf finden, die vielen Eindrücke und vor allem die  akustische Begleitmusik bellender Hunde in Huancarani verhinderten das Einschlafen. Nachts trugen unzählige Hunde  ihre Revierkämpfe aus und kläfften unaufhörlich. Meist halfen nur Ohropax oder der mitgebrachte MP3-Player.
Am nächsten Morgen – wenig gut erholt - machte sich Tobias direkt nach dem Frühstück an die Arbeit im Behandlungszimmer, Vorbereitungen treffen für die Patienten am Montag. 
Ich machte mich derweil an die Vorbereitungen im Labor. Die mitgebrachten und vor Ort vorhandenen Materialien wurden sortiert, die Gerätschaften wurden installiert und einsatzbereit gemacht.
Ekkehard, war  bereits einige Zeit vor Ort in Huancarani und hatte diverse Geräte und auch Materialien für Behandlung/Zahntechnik in einem ansässigen Dental-Depot besorgt. Es handelte sich unter anderem um einen kleinen Drucktopf, ein ordentliches Handstück mit Motor und sogar um ein gebrauchtes Röntgengerät. Mit dem vor Ort besorgten und dem mitgebrachtem Material ließ sich eine einsatzfähige Technik einrichten.
Anstelle eines Arbeitstisches wurde ein Schreibtisch in die Ecke geschoben. Am nächsten Tage kam ein kleiner Poliermotor dazu. Das erste zahntechnische Labor im „Consultorio“ war nun vollständig und startklar. Das Einzige was fehlte, war ein Gasanschluss oder wenigstens eine gefüllte Gasflasche mit Brenneranschluss. Gas war nicht vorhanden und auch in den kommenden drei Wochen war leider nichts aufzutreiben. Zum Glück gab es ein kleines elektrisches Wachsmesser, welches mir allerdings nur wenig behilflich war bei der Modellation.
Da bei solchen Einsätzen auch immer eine große Portion Improvisation gefragt ist, pendelte ich zwischen Arbeitsraum und Unterkunft hin und her. In unserer Behausung befand sich ein Gasherd. Also wurde zukünftig in der Küche am Herd aufgewachst.
Das erste Wochenende war nun vorbei. Montags früh kamen die ersten Patienten zum Consultorio. Wie erwartet war es um die Zahngesundheit, Pflege der Zähne und die Hygiene nicht allzu gut bestellt. Tobias´ Einsatzgebiete waren in der Hauptsache: Füllungstherapie, Extraktionen und Beratung der Patienten in Zahnpflege und Mundhygiene.
Auf dem Gelände der Einrichtung befand sich ebenfalls eine Nachmittagsbetreuung für Schulkinder verschiedenen Alters. Hier konnten wir gut beobachten, wie Zahnbürsten gleichzeitig als Pflegeutensil sowie als Spielzeug benutzt wurden. Es wurde damit im Sand gestochert  und die Aufbewahrung erfolgte ohne jegliche Reinigung. Ebenfalls war zu beobachten, dass die Kinder zu jeder Tageszeit, auch bereits morgens vor der Schule an den kleinen Tiendas (Kioske) anstanden und sich mit Süßigkeiten und hoch zuckerhaltigen Getränken versorgten. Wie sich diese  Ernährung in Verbindung mit unzureichender Zahnpflege auf die Zahngesundheit auswirkt, muss sicher nicht weiter betont werden.
Ein weiteres Problem der Patientenversorgung ist die mangelnde Zuverlässigkeit vor Ort. Terminwahrnahme und Pünktlichkeit ist im bolivianischen Hochland keine relevante Pflicht. Die Einheimischen leben relativ zeitlos in den Tag und manchmal bekam man den Eindruck, dass  Sonnenauf- und -Sonnenuntergang die einzigen Chronometer sind.
Die Einwohner von Huancarani, den umliegenden Ortschaften Sipe Sipe, Quillacollo und teilweise sogar aus Cochabamba wussten bereits durch unsere Vorgänger, dass eine zahnärztliche Versorgung durch deutsche Zahnärzte im Consultorio stattfindet. Überraschend schnell sprach es sich herum, dass erstmals ein Zahntechniker vor Ort sei, der Prothesen (sog. Plakas) herstellen könne. 
Von Tag zu Tag stieg also die Nachfrage nach ‚plakas’.
Nach ein paar Tagen Anlaufzeit steigerte sich also mein Arbeitsaufkommen im Labor und Tobias´ Einsatzgebiet erweiterte sich um Alginatabformungen und das Einsetzen von Prothesen.
Die Versorgung mit Zahnersatz muss man sich nach unseren Standards als Interimsprothetik vorstellen. Mit dem Unterschied, dass diese Versorgung für die Patienten in Bolivien eine dauerhafte, bleibende Lösung darstellen kann. 
Das Ziel sollte es deshalb sein, die Prothesen möglichst bruchsicher und stabil herzustellen, da der dauerhafte Einsatz eines Zahntechnikers für eventuelle Reparaturen vor Ort nicht gegeben ist.
Insgesamt haben wir im Verlauf unserer dreiwöchigen Behandlungszeit 14 ‚plakas’ bei PatientInnen eingesetzt. Eine 84-jährige Patientin konnten wir sogar mit einer neuen Totalversorgung glücklich machen. Das man einer älteren Dame solch eine Freude machen konnte, war für uns beide ein besonders schönes Erfolgserlebnis.
Insgesamt war die Arbeit im Consultario ein außergewöhnliches Erlebnis und intensives Gefühl, da den Menschen ihre  Freude über Ihre neuen Zähne und ihre Dankbarkeit deutlich anzusehen war. Für uns beide war das eine große  Bereicherung.
Was uns bei unserer täglichen Arbeit, aber auch im Alltag besonders ins Auge stach, war eine spezielle Kronenform im Frontzahnbereich mit silberner bzw. goldener Metallumrandung welche von auffallend vielen Patienten getragen wurde. Vielleicht auch eine Art Schmuck!?
Auch eine besondere  Erfahrung war für mich die Tätigkeit als Stuhlassistenz, sozusagen als zahnmedizinische Helferin. Sei es das Anmischen von Abformmaterial, Speichel absaugen oder das Zureichen von Instrumenten. Ich hoffe, Dr. Bensel war zufrieden mit seiner Interimshelferin…
Die „Arbeitszeiten“ bzw. Öffnungszeiten im Consultario waren täglich von 8.30 Uhr-19.00 Uhr. Nach dem Feierabend wurde bei Doña Adela zu Abend gegessen und den Rest der Zeit verbrachten wir mit Karten spielen und Musik hören.
Manchmal wurde abends noch ein kleiner Spaziergang durch Huancarani gemacht. Sei es, um an einer Tienda noch ein paar Einkäufe zu erledigen oder das Internet-Cafe aufzusuchen. Im Dorf begegneten uns zu jeder Zeit freundliche Menschen. Von den Kindern hallte uns regelmäßig ein „Gringo,Gringo“ entgegen. Ein wenig mulmig war uns bei diesen kleinen Ausflügen in die Ortschaft aber auch. Mehrmals mussten wir uns mit Steinen oder Stöcken gegen die, doch häufig, aggressiven Hunde zur Wehr setzen. Aber auch diese Herausforderung wurde von uns gemeistert.
Wenn man nun einmal den weiten Weg nach Südamerika/Bolivien auf sich nimmt, will man natürlich auch die Gelegenheit nutzen und ein wenig das Land erkunden. Dafür hatten wir zwei vollständige Wochenenden  zu unserer freien Verfügung.
Am ersten Wochenende besuchten wir den Nationalpark Toro Toro, der ca. 6 Fahrstunden südlich von Cochabamba gelegen ist. Der lange Weg dahin führte über abgelegene Schotterpisten, an steilen Abhängen entlang und durch Flüsse hindurch. 
Die schlechte Wegstrecke war Herausforderung und Nervenkitzel. Im Nationalpark angekommen ließen sich beeindruckende geologische Bergformationen, Dinosaurierspuren und Höhlensysteme besichtigen. Die Höhepunkte des Ausflugs waren eine 2-stündige Höhlenwanderung sowie ein erfrischendes Bad in einem tosenden Wasserfall. 
Für das zweite Wochenende suchten wir uns einen Besuch in Sucre aus. Mittels eines halbstündigen Inlandsfluges war unser Ziel schnell erreicht. Sucre ist die Hauptstadt und hat circa 300000 Einwohner. Durch die beeindruckende Kolonialarchitektur hat Sucre sich die Bezeichnung ‚weiße Stadt’ verdient.
Wir besuchten Aussichtspunkte über der Stadt und schauten  uns die schöne Stadt zunächst von oben an. Danach ging es mitten ins Getümmel der riesigen Wochenmärkte. Hier besorgten wird einige Mitbringsel für die Lieben zu Hause. Uns hat Sucre  tief beeindruckt. Nach einem zweitägigen Aufenthalt ging es zurück nach Huancarani. Sehr gern hätten wir auch die tiefer gelegenen Gebiete Boliviens mit seinen tropischen Regenwäldern oder den Titicacasee besucht, was uns aus zeitlichen Gründen leider nicht möglich war. Vielleicht und hoffentlich dann beim nächsten Besuch.
Wieder zurück im Consultorio hatten wir noch einige, letzte Arbeiten zu verrichten. Die letzten Patienten wurden behandelt und noch einige Plakas wurden eingesetzt. 
Nach drei weiteren Arbeitstagen, am Mittwoch, begannen wir dann  mit den Aufräumarbeiten. Leider mussten wir alles unter Abdeckplanen verstauen, da zu diesem Zeitpunkt  nicht feststand, wann die nächsten Teams, insbesondere Zahntechniker, hier arbeiten würden. Dass hier kein nahtloser Übergang stattfinden konnte, fanden wir ein wenig schade.
Am Donnerstag, den  10.04. traten wir dann den Nachhauseweg an. Wir verabschiedeten uns von Doña Adela und ihrer Familie und machten uns ein wenig wehmütig auf den Weg zum Flugplatz von Cochabamba. Für die Rückreise hatten wir dieselbe Route ausgesucht. Wir flogen also wieder über Santa Cruz und Madrid gen Heimat.
ZTM Frank Wanjura (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)


Zurück zum Seiteninhalt