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Hildenbeutel, Reinhart

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Huancarani / Chapare August/September 2015
Als ich von Frankfurt abflog, stand ich am Beginn eines lange gehegten Traums. Schon immer wollte ich einmal in Südamerika an einem dentalen Hilfsprojekt teilnehmen, aber es sollte bei mir erst nach Beendigung meiner Praxistätigkeit möglich werden. Ich flog also von Frankfurt über Madrid und Santa Cruz nach Cochabamba, was bei Air Europa den Vorteil hatte, dass mein Gepäck bis zum Zielpunkt durchgecheckt wurde. Bei anderen Verbindungen ist das so nicht unbedingt der Fall.
Bevor die Tätigkeit in Huancarani beginnen sollte, hatte ich eine Woche Sprachschule vorgeschaltet, denn vom Spanischen hatte ich eigentlich keinerlei Ahnung, und so konnte ich wenigstens ein paar nützliche Dinge, wie z.B. einfache Höflichkeitsredewendungen lernen. 
Außerdem hatte diese Woche den großen Vorteil, Sebastian, meinen Kollegen für die Station in Huancarani, schon kennenzulernen, der bereits eine Woche zuvor an der Sprachschule weilte.
Durch ihn wurde mir der Einstieg in die für mich fremde, neue Welt vereinfacht, da er das Spanische wesentlich besser verstand und sprach als ich.
Nach der Einführungswoche in der Sprachschule ging es dann nach Huancarani, wo wir eine für diesen Teil der Welt gut bestückte Zahnstation mit einem prima Appartement für uns Voluntarios vorfanden. Ein Nachteil der Station, der zukünftig zu verbessern wäre, stellte sich bei einer Routineinventur heraus:  einige Voluntarios, und dazu zähle ich mich an erster Stelle mit, bringen mit guter Absicht und bestem Glauben Instrumente und Materialien mit, die dann leider oft nicht benötigt werden. Als Beispiel sollen hier stellvertretend zwei Dinge benannt werden: nagelneue oder gebrauchte Hand- und Winkelstücke, sowie Turbinen, die aufgrund der technischen Voraussetzungen nicht zum Einsatz gebracht werden können, sammeln sich in nicht unbeträchtlicher Anzahl dort an. Zum Zweiten gibt es eine Unmenge von Füllungsmaterialien verschiedenster Hersteller, die in dieser Vielfalt eher zur Verwirrung als zu einer vernünftigen und raschen zielorientierten Auswahl bei so manch einem jungen Voluntario führen, da er viele dieser Materialien in seiner bisherigen Hochschullaufbahn noch niemals kennenlernen konnte. Ausweg hier sollte eine strenge Orientierung an der vorgegebenen Material- und Instrumentenliste sein und nicht die gute Absicht, auch etwas beitragen zu wollen, ohne zu wissen, ob das dann tatsächlich auch sinnvoll ist.
Meine Zeit in Huancarani war Dank meines Kollegen Sebastian nicht ganz so eintönig, wie die direkte Umgebung es mir vermittelte. Kurzum: wir beide verstanden uns trotz eines erheblichen Altersunterschiedes prächtig. Der Freitzeitwert der unmittelbaren Umgebung tendierte  allerdings gen null, denn um etwas Leben mitzubekommen, musste man sich stets ins nahegelegene Quillacollo begeben, was aufgrund der einsetzenden Dunkelheit bei Sprechstundenende an Wochentagen nicht mehr ratsam erschien. Und so vertrieben wir uns die Zeit mit gemeinsamen Abendessen, Lesen, Austausch über fachliche Dinge und zum totalen Abschalten auch mal mit Kniffel spielen.
Der Arbeitsaufwand in Huancarani hielt sich während ich dort war sehr in Grenzen, was zum Einen damit zusammenhing, dass der bolivianische Nationalfeiertag in diese Zeit fiel und eine Woche später das große Fest der URCUPINA in Quillacollo, zu dem alljährlich tausende wallfahrende Gläubige aus aller Welt kommen. Zum Anderen stellten Sebastian und ich uns die Frage, ob der Standort in Huancarani wirklich notwendig ist, denn in der unmittelbaren und weiteren Umgebung existieren nicht gerade wenige einheimische Consultorios (Anm.d.Red.: Es gibt tatsächlich 2 Zahnarztpraxen in Huancarani, aber die scheinen nur aus zurückbelassenen Schildern zu bestehen, denn geöffnet habe ich noch nie eine vorgefunden.). Vielleicht wird das geplante Zahnlabor einen Zuwachs an Patienten bringen, der momentane Status bringt jedenfalls nur dann genug Patienten, wenn man selbst versucht, außerhalb des Consultorios Patienten zu aquirieren, was ohne ausreichende Sprachkenntnisse nicht möglich ist und was, zumindest von mir aus gesehen, so nicht eingeplant war.
Die Eintönigkeit unseres Daseins wurde sofort anders, als nach zwei Wochen drei weibliche Voluntarias und Ekkehard selbst nach Huancarani kamen. Das Kniffeln wurde durch Schwimmen (ein Kartenspiel) ergänzt und auch musikalisch wurden mit Nicky Jam neue Töne angeschlagen. El Perdon und Trasvesuras sollten fortan unser tägliches Leben begleiten.Meine dritte Woche in Boliviens dentaler Welt wurde schlagartig spannender, da Ekkehard mit zwei der neuangekommenen jungen Damen und mir über die Kordilleren in die Region Chapare nach Lauca-Eñe fuhr, um dort in einer relativ neugebauten Markthalle eine mobile Zahnstation zu errichten. 
Dieser Ort schien mir bestens ausgewählt zu sein, denn von weiteren dentalen Einrichtungen war für mich dort nichts wahrzunehmen. Und so gestaltete sich auch dann das Patientenaufkommen, welches mit dem der ersten beiden Wochen nicht zu vergleichen war. Die Unterkunft im Regenwald war in Ordnung, wenngleich die Wasserversorgung über ein Speichergefäß auf dem Dach für uns bis zu meiner Abreise eine Woche später ein ungelöstes technisches Problem darstellte, was jedoch meine Nachfolger in den Griff bekamen.

Die Rückkehr nach Huancarani entpuppte sich als wahrer Teufelsritt über die Anden, denn der Fahrer des Trufis scheute anscheinend weder Tod noch Teufel und hatte offenbar auch die Gabe, kommende Links- wie Rechtskurven mit Röntgenblick zu überschauen, was mir so nicht möglich war. Alles in Allem eine tolle Rückfahrt mit teilweise grandiosen Ausblicken in die dortige Andenregion.
 
Der letzte Tag vor meiner Abreise wurde genutzt, um mit Sebastian, Alex, Anni und Ramona nach Cochabamba zu fahren, um uns auf den dortigen Christo zu begeben, was uns eine prima Aussicht über die talähnliche Umgebung Cochabambas ermöglichte.  Danach tauchten wir ein in das sagenhafte Treiben der Concha, des großen Marktes dieser Stadt, wo ich aber vor lauter Geschäften und dichtem Gedränge keine vernünftigen Souvenirs finden konnte.
 
Am nächsten Morgen um 5 Uhr ging für mich die Fahrt mit José, unserem Standardtaxifahrer aus Huancarani, zum Flughafen über rote Ampeln und manchen Schleichweg. Das Einchecken geschah problemlos, jedoch waren die Sicherheitskontrollen sehr streng, was wohl ein Ergebnis des herrschenden Drogenproblems ist.
 
Unterm Strich bleibt eine interessante Zeit in einem mir bisher unbekannten Land mit vielen netten jungen Leuten aus aller Welt (in der Sprachschule kennengelernt) und lieben jungen Kolleginnen und Kollegen´(im Consultorio), mit denen es sehr angenehm war, die zur Verfügung stehende Freizeit zu verbringen, besonders zu erwähnen ist der liebe Sebastian, der mich an meinem Geburtstag mit einem Superomelett überraschte und der mir sein Geheimnis, beliebig Kniffels zu würfeln, bis zum Schluss nicht verraten hat.
 
Reinhart Hildenbeutel, 01.09.2015 
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